Betrachtet man die Werke Catrin Rothes so fühlt man sich im ersten Moment des Schauens in die Kindheit zurückversetzt, in jene Zeit, als man uns Märchen erzählte, vom bösen Wolf, von Hänsel und Gretel, von Hexen und Zauberern, Prinzen und Prinzessinnen und all den anderen Gestalten die sich in unserer Kinderbilderbuchwelt tummelten.
Märchen, ebenso wie Mythen, das sind in unserer Erinnerung Geschichten an denen wir Freude hatten, die uns faszinierten und doch auch auf eine wohlige Weise ängstigten. Märchen, hört oder liest man sie genau, beginnen selten mit dem Zustand von Glück. Die Helden müssen sich, um es zu finden, immer zunächst auf eine lange und beschwerliche Reise begeben, sie müssen sich Herausforderungen stellen, unbekanntes und gefährliches Gebiet betreten und harte Mutproben bestehen. sie brauchen Ausdauer, Geduld, Glaube und Zuversicht, um alle Schwellenhüter auf ihrem Weg zum Glück zu überwinden.
Doch immer ist der Weg den Märchenfiguren gehen ein Weg ins Licht und dieser Weg führt über die Konfrontation mit den Schatten, den eigenen und den fremden.
Die Figuren in Märchen und Mythen sind lunare Helden, auf deren Weg es im wahrsten Sinne des Wortes ums Ganze geht, nämlich um die Vereinigung der Gegensätze. Es geht um die Wandlung des Inneren mittels der Integration des Abgespaltenen und so können wir sie als symbolhaft für unser menschliches Leben und Erleben sehen und begreifen.
Märchenfiguren und ihre Geschichten sind Protagonisten des kollektiven Unterbewussten. Sie malen Bilder der Seele.
Bilder der Seele, das sind die Worte die ich für die Werke Catrin Rothes als stimmig empfinde.
Seit nunmehr vier Jahren beschäftigt sich die Malerin mit dem Wesen der Märchen und Mythen. Das Unterbewusste, die Hintergründe und die Abgründe menschliches Seins faszinieren sie. Wandel, Vergänglichkeit, das Schöne in seiner Vordergründigkeit und Ambivalenz zwischen Segen und Fluch, sind die Quelle der Inspiration die diese geheimnisvoll schönen, großformatigen Werke entstehen lassen.
Trotz der märchenhaften Darstellung wirken diese Bilder alles andere als harmlos. Trotz der malerischen Schönheit spiegeln sie dem Betrachter Einsamkeit und Furcht, aber zugleich auch Kraft und Zuversicht. Sie sind Bild gewordene Narrationen die traumähnlich innere
Befindlichkeiten und innerpsychisches menschliches Erleben zitieren.
Das Motiv des Mädchens im tiefen Blauschwarz des Waldes zieht sich durch einige der Werke wie ein roter Faden. Ist sie die Stellvertreterin für die innere Welt der Malerin? Ist sie gefangen in diesem Wald? Geht sie hinein oder hinaus, was findet sie dort, was geschieht mit ihr und wofür stehen die Tiere, wie Hase, Hirsch oder Katze? Sind sie Schutz oder Bedrohung?
Rothe malt in Rätseln – alles kann sein und alles kann nicht sein und alles kann so sein und anders.
Diese Bilder geben keine Antworten, sie sprechen von Möglichkeiten, die unsere eigene Fantasie erschafft, abhängig von unserer individuellen Wahrnehmung und unserer emotionalen Erfahrung von Welt. „Alles bleibt offen“, sagt Catrin Rothe, „ich gebe keine Lösungen.“ Und dieses Offene bietet dem Betrachter den Raum für eigene Affekte und Interpretationen. Da ist Raum, um sie weiter zu malen, sich hinzugeben an eigene Bilder im eigenen Kopf. Das macht sie so tiefgründig, das zieht uns in ihren Bann. Sich der Welt dieser Werke überlassen, heißt sich der schöpferischen Kräfte der eigenen Psyche hinzugeben, unser eigenes Märchen zu erleben in der eigenen Gedankenwelt. Auch das macht ihre Magie aus, dass sie uns auffordern über
das rationale Verstehen von Welt hinaus zu fühlen, dorthin, wo das Kopfdenken aufhört und das Herzdenken beginnt.
Catrin Rothe malt im großen Format in Acryl auf Leinwand. „Acryl, so die Künstlerin, „entspricht meinem Duktus.“ Der ist dynamisch, spontan, braucht die Möglichkeit der schnellen
Veränderung im Malprozess. Auf diese Weise wird das Bild lebendig.
Schicht über Schicht legt Rothe übereinander, im Malerischen finden sich grafische Elemente, Akzente setzen Ölkreide, Bleistift und Wachstifte. In der expressiven Farbigkeit dominieren kräftige Blau, Rot- und Gelbtöne, bisweilen ein lichtes Weiß und ein sattes Schwarz.
Mittels Licht und Schatten, auch in der formalen Umsetzung gekonnt gesetzt und dem Sujet des Inhalts entsprechend, begegnet uns in den Werken Catrin Rothes eine Welt, in der eine Fülle archetypischer Motive und Gedanken ihren Platz haben, eine Welt die das spiegelt, was sich in der Seele der Menschen seit Urzeiten abspielt: das Schwanken zwischen den Polaritäten und das Gewahrsein, dass alles in Spannung zueinander steht und dennoch und gerade deshalb dieses Alles das Ganze ausmacht was Menschsein bedeutet.
© Angelika Wende 2011